Gelöschtes Mitglied 26332
Neues Kapitel: Waldbrand
Es war nach Mitternacht, als Elsa Huber erwachte. Einen Moment lang starrte die alte Bäuerin verwirrt gegen die Decke und fragte sich, was sie geweckt hatte. Normalerweise hatte sie einen gesunden Schlaf, doch heute war etwas anders. Sie hörte unruhiges Wiehern von Pferden, und ihre Hühner gackerten nervös in ihren Gehegen.
Ihre sehnige, abgearbeitete Hand tastete sich zu ihrer altmodischen Nachttischlampe hinüber. Als das Licht brannte, schwang Elsa ihre dünnen Beine aus dem riesigen Doppelbett. Schon ihre Großeltern hatten darin geschlafen, und ihr Vater hatte seinen letzten Atemzug in den alten Matratzen gemacht. In einem kurzen Gebet bat sie ihn um seinen Segen, wie jeden Tag, wenn sie sich aus den klumpigen Daunen erhob. Dann trat sie ans Fenster.
Die Nacht war ungewöhnlich hell, wie sie schon durch die Schlitze ihres Fensterladens erkannte, bevor sie das gekippte Fenster öffnete und beides weit aufstieß. Beißender Rauchgeruch trat in ihre Nase, und ihr erster Blick ging hinüber zum Nachbarhof. Dort war jedoch alles wie sonst.
Ängstlich glitt die Hand der alten Frau zu ihrem faltigen Hals und umklammerte das Kreuz, das an einer Kette dort hing. Sie hatte die Dunkelheit immer gefürchtet, wusste sie doch, was sie verbarg.
Mehr noch erschreckte sie indessen diese unnatürliche rötliche Helle, die in unregelmäßigen Abständen von Blitzen durchbrochen wurde. Noch immer hielten die dicken Regenwolken am Nachtfirmament ihre Pforten geschlossen.
Es waren heiße Tage gewesen. Selbst kümmerte sich Elsa schon lange nicht mehr um die Felder, sie waren alle verpachtet. Einst war das Huber-Gehöft eines von den größten Neuschönaus gewesen, und gemeinsam mit ihrem Mann hatte Elsa ein gutes Einkommen gehabt. Nun war sie arm, ihr Mann war verstorben. Alles, was sie noch hatte, waren zehn Hühner, drei Katzen in einer Scheune und einen rheumatischen Dackel, von dem sie hoffte, dass er vor ihr ging. Ihre eigenen Tage waren gezählt, sie war mittlerweile bereits über achtzig.
Fido wackelte winselnd auf sie zu und schnüffelte an ihrem Bein. Sein einstmals glänzendes braunes Fell war mittlerweile stumpf, und sein Leib war in die Breite gewachsen.
"Du spürst es auch, mein Guter, nicht wahr?" Elsa bückte sich schwerfällig und tätschelte den Kopf des alten Langhaardackels. Sie warf noch einen letzten Blick zum Fenster hinaus, im Versuch, das Rätsel, das sie beschäftigte, zu lösen. Irgendwo musste es brennen, sie roch und fühlte es mit dem Instinkt und der Weisheit des Alters.
"Komm, Fido, wir gehen nochmal raus." Die alte Frau trippelte an ihren Schrank, griff nach ihrem fadenscheinigen Morgenrock und zog ihn umständlich über. Im Flur leinte sie Fido an und verließ mit ihm zusammen das rot geziegelte Reetdachhaus.
Zögernd öffnete sie das Gatter und trat hinaus auf die Straße. Elsa umwickelte ihr Handgelenk mit der Leine und klammerte sich daran fest. Sie suchte Halt in dieser Handlung, und zugleich war es der Wunsch, ihren Hund zu beschützen.
Fido bellte und strebte zurück in Richtung Haus. Abgelenkt starrte sie auf ihn hinunter und war verwirrt. Er war normalerweise nicht ängstlich, aber jetzt hatte er die Rute zwischen die Beine geklemmt und blickte unverwandt in Richtung Wald. Der Hund stieß die Nase gen Himmel und heulte.
Dünne, kaum wahrnehmbare Rauchschwaden waberten über dem Dorf und verschwanden zwischen den Gewitterwolken am Horizont. Zwischen sporadisch wiederkehrendem Donnergrollen und den unruhigen Stimmen der Tierwelt vernahm Elsa ein ganz leises Knistern.
Als sie Fidos Instinkt folgte und zum Wald hinüber sah, vermeinte sie, ein rötliches Glühen in den oberen Regionen der Baumfront zu erkennen, doch sie war sich nicht sicher. Erschrocken führte sie eine Hand zum Mund und blieb sekundenlang stocksteif stehen. Ein heißer Wind spielte mit ihren schlohweißen Haaren.
Ihr Hund riss sie aus ihrer Erstarrung. Sein Winseln wurde lauter, und vehement stemmte er sich gegen die Leine. Sie fasste sich und führte ihn zurück ins Haus.
"Die Feuerwehr ...", stammelte sie vor sich hin und hatte vor Aufregung die Nummer des Notrufs vergessen. Mit zitternden Händen riss sie die Schublade an ihrem Telefonschränkchen auf und suchte nach ihrem Telefonbuch.
Elsa Huber war die Erste in jener Nacht, die den Waldbrand bemerkte. Kurz nach ihrem Anruf ging es schnell, bis der Einsatzwagen der FFW Neuschönau an ihrem Haus vorbei brauste, die beiden Tanklöschzüge des Ortes im Schlepptau.
Allmählich erwachte die schlafende Einsiedlerstraße zu verhaltenem Leben. Die Bäuerin verließ noch einmal das Haus und stellte sich an den Straßenrand. Diesmal ließ sie Fido daheim.
Mit dem Rücken zum Hof schaute sie die schlecht beteerte Straße entlang und beobachtete, wie die Einsatzwägen am Anfang der sanft geschwungenen Serpentinen verschwanden. Die drei Blaulichter durchleuchteten gespenstisch die Nacht. In ihrer kompromisslosen Lautlosigkeit vermittelten sie so etwas wie Endgültigkeit.
Plötzlich fühlte Elsa sich einsam. Gewitterböen zerrten an ihrem leichten Nachtgewand und trieben ihren ausgemergelten Körper zur Seite. Gedankenverloren grub sie ihre nackten Zehen in den warmen Sand und verlor sich in der Vergangenheit.
Feuer spielte darin eine tragende Rolle, und seitdem sah sie das Unglück voraus, bevor es geschah.
Sie starrte zu dem kaum sichtbaren Glühen in den Höhen des abgelegenen Waldabschnitts und dachte an ihren Sohn. Er war bei einem Waldbrand ums Leben gekommen, als er auf Kreta in Urlaub war. Fünfzig Jahre alt wäre er dieses Jahr an Ostern geworden, doch seinen runden Geburtstag hatte er nicht mehr erlebt.
Tränen stiegen ihr in die Augen. Elsa wandte sich ab und erwiderte zerstreut den Gruß der jungen Haustochter vom Nachbarhof. Martina Geldorf stand neben ihr und hatte schützend den Arm um ihre Schultern gelegt.
"Frau Huber, wollen Sie nicht lieber hinein gehen?", fragte sie und musterte mitleidig den Aufzug der alten Frau.
Elsa schüttelte heftig den Kopf. "Gleich kommt mein Enkel." Ihre Stimme klang voller Vertrauen in den einzigen Verwandten, den sie noch hatte. Tobias studierte in München, doch an den Wochenenden war er bei ihr.
Ein einzelnes Heulen kündigte die Ankunft weiterer Mannschaften an, und kurz darauf fuhr ein Rettungswagen vorbei.
"Was ist denn passiert, Frau Huber, wissen Sie was?" Im schwachen Laternenlicht funkelten Martina Geldorfs Augen Elsa neugierig an.
"Im Wald brennt's", antwortete sie. "Ich habe das Feuer gesehen." Die Bäuerin wies mit einem mageren Finger in die Höhe hinauf. "Sehen Sie? Da oben ist alles rot." Donnergrollen mischte sich in ihre Worte, ein Blitz, der dessen Vorhut gewesen sein sollte, wurde von Rauchschwaden in den Bergen verschluckt.
Während sich der warnende Gesang der Sirene in der Nacht verlor, vernahm Elsa eine Abfolge von Motorengeräuschen, die sie schon kannte.
In der flammenden Sommernacht klangen sie der alten Frau wie eine Drohung.
Fortsetzung folgt
Es war nach Mitternacht, als Elsa Huber erwachte. Einen Moment lang starrte die alte Bäuerin verwirrt gegen die Decke und fragte sich, was sie geweckt hatte. Normalerweise hatte sie einen gesunden Schlaf, doch heute war etwas anders. Sie hörte unruhiges Wiehern von Pferden, und ihre Hühner gackerten nervös in ihren Gehegen.
Ihre sehnige, abgearbeitete Hand tastete sich zu ihrer altmodischen Nachttischlampe hinüber. Als das Licht brannte, schwang Elsa ihre dünnen Beine aus dem riesigen Doppelbett. Schon ihre Großeltern hatten darin geschlafen, und ihr Vater hatte seinen letzten Atemzug in den alten Matratzen gemacht. In einem kurzen Gebet bat sie ihn um seinen Segen, wie jeden Tag, wenn sie sich aus den klumpigen Daunen erhob. Dann trat sie ans Fenster.
Die Nacht war ungewöhnlich hell, wie sie schon durch die Schlitze ihres Fensterladens erkannte, bevor sie das gekippte Fenster öffnete und beides weit aufstieß. Beißender Rauchgeruch trat in ihre Nase, und ihr erster Blick ging hinüber zum Nachbarhof. Dort war jedoch alles wie sonst.
Ängstlich glitt die Hand der alten Frau zu ihrem faltigen Hals und umklammerte das Kreuz, das an einer Kette dort hing. Sie hatte die Dunkelheit immer gefürchtet, wusste sie doch, was sie verbarg.
Mehr noch erschreckte sie indessen diese unnatürliche rötliche Helle, die in unregelmäßigen Abständen von Blitzen durchbrochen wurde. Noch immer hielten die dicken Regenwolken am Nachtfirmament ihre Pforten geschlossen.
Es waren heiße Tage gewesen. Selbst kümmerte sich Elsa schon lange nicht mehr um die Felder, sie waren alle verpachtet. Einst war das Huber-Gehöft eines von den größten Neuschönaus gewesen, und gemeinsam mit ihrem Mann hatte Elsa ein gutes Einkommen gehabt. Nun war sie arm, ihr Mann war verstorben. Alles, was sie noch hatte, waren zehn Hühner, drei Katzen in einer Scheune und einen rheumatischen Dackel, von dem sie hoffte, dass er vor ihr ging. Ihre eigenen Tage waren gezählt, sie war mittlerweile bereits über achtzig.
Fido wackelte winselnd auf sie zu und schnüffelte an ihrem Bein. Sein einstmals glänzendes braunes Fell war mittlerweile stumpf, und sein Leib war in die Breite gewachsen.
"Du spürst es auch, mein Guter, nicht wahr?" Elsa bückte sich schwerfällig und tätschelte den Kopf des alten Langhaardackels. Sie warf noch einen letzten Blick zum Fenster hinaus, im Versuch, das Rätsel, das sie beschäftigte, zu lösen. Irgendwo musste es brennen, sie roch und fühlte es mit dem Instinkt und der Weisheit des Alters.
"Komm, Fido, wir gehen nochmal raus." Die alte Frau trippelte an ihren Schrank, griff nach ihrem fadenscheinigen Morgenrock und zog ihn umständlich über. Im Flur leinte sie Fido an und verließ mit ihm zusammen das rot geziegelte Reetdachhaus.
Zögernd öffnete sie das Gatter und trat hinaus auf die Straße. Elsa umwickelte ihr Handgelenk mit der Leine und klammerte sich daran fest. Sie suchte Halt in dieser Handlung, und zugleich war es der Wunsch, ihren Hund zu beschützen.
Fido bellte und strebte zurück in Richtung Haus. Abgelenkt starrte sie auf ihn hinunter und war verwirrt. Er war normalerweise nicht ängstlich, aber jetzt hatte er die Rute zwischen die Beine geklemmt und blickte unverwandt in Richtung Wald. Der Hund stieß die Nase gen Himmel und heulte.
Dünne, kaum wahrnehmbare Rauchschwaden waberten über dem Dorf und verschwanden zwischen den Gewitterwolken am Horizont. Zwischen sporadisch wiederkehrendem Donnergrollen und den unruhigen Stimmen der Tierwelt vernahm Elsa ein ganz leises Knistern.
Als sie Fidos Instinkt folgte und zum Wald hinüber sah, vermeinte sie, ein rötliches Glühen in den oberen Regionen der Baumfront zu erkennen, doch sie war sich nicht sicher. Erschrocken führte sie eine Hand zum Mund und blieb sekundenlang stocksteif stehen. Ein heißer Wind spielte mit ihren schlohweißen Haaren.
Ihr Hund riss sie aus ihrer Erstarrung. Sein Winseln wurde lauter, und vehement stemmte er sich gegen die Leine. Sie fasste sich und führte ihn zurück ins Haus.
"Die Feuerwehr ...", stammelte sie vor sich hin und hatte vor Aufregung die Nummer des Notrufs vergessen. Mit zitternden Händen riss sie die Schublade an ihrem Telefonschränkchen auf und suchte nach ihrem Telefonbuch.
Elsa Huber war die Erste in jener Nacht, die den Waldbrand bemerkte. Kurz nach ihrem Anruf ging es schnell, bis der Einsatzwagen der FFW Neuschönau an ihrem Haus vorbei brauste, die beiden Tanklöschzüge des Ortes im Schlepptau.
Allmählich erwachte die schlafende Einsiedlerstraße zu verhaltenem Leben. Die Bäuerin verließ noch einmal das Haus und stellte sich an den Straßenrand. Diesmal ließ sie Fido daheim.
Mit dem Rücken zum Hof schaute sie die schlecht beteerte Straße entlang und beobachtete, wie die Einsatzwägen am Anfang der sanft geschwungenen Serpentinen verschwanden. Die drei Blaulichter durchleuchteten gespenstisch die Nacht. In ihrer kompromisslosen Lautlosigkeit vermittelten sie so etwas wie Endgültigkeit.
Plötzlich fühlte Elsa sich einsam. Gewitterböen zerrten an ihrem leichten Nachtgewand und trieben ihren ausgemergelten Körper zur Seite. Gedankenverloren grub sie ihre nackten Zehen in den warmen Sand und verlor sich in der Vergangenheit.
Feuer spielte darin eine tragende Rolle, und seitdem sah sie das Unglück voraus, bevor es geschah.
Sie starrte zu dem kaum sichtbaren Glühen in den Höhen des abgelegenen Waldabschnitts und dachte an ihren Sohn. Er war bei einem Waldbrand ums Leben gekommen, als er auf Kreta in Urlaub war. Fünfzig Jahre alt wäre er dieses Jahr an Ostern geworden, doch seinen runden Geburtstag hatte er nicht mehr erlebt.
Tränen stiegen ihr in die Augen. Elsa wandte sich ab und erwiderte zerstreut den Gruß der jungen Haustochter vom Nachbarhof. Martina Geldorf stand neben ihr und hatte schützend den Arm um ihre Schultern gelegt.
"Frau Huber, wollen Sie nicht lieber hinein gehen?", fragte sie und musterte mitleidig den Aufzug der alten Frau.
Elsa schüttelte heftig den Kopf. "Gleich kommt mein Enkel." Ihre Stimme klang voller Vertrauen in den einzigen Verwandten, den sie noch hatte. Tobias studierte in München, doch an den Wochenenden war er bei ihr.
Ein einzelnes Heulen kündigte die Ankunft weiterer Mannschaften an, und kurz darauf fuhr ein Rettungswagen vorbei.
"Was ist denn passiert, Frau Huber, wissen Sie was?" Im schwachen Laternenlicht funkelten Martina Geldorfs Augen Elsa neugierig an.
"Im Wald brennt's", antwortete sie. "Ich habe das Feuer gesehen." Die Bäuerin wies mit einem mageren Finger in die Höhe hinauf. "Sehen Sie? Da oben ist alles rot." Donnergrollen mischte sich in ihre Worte, ein Blitz, der dessen Vorhut gewesen sein sollte, wurde von Rauchschwaden in den Bergen verschluckt.
Während sich der warnende Gesang der Sirene in der Nacht verlor, vernahm Elsa eine Abfolge von Motorengeräuschen, die sie schon kannte.
In der flammenden Sommernacht klangen sie der alten Frau wie eine Drohung.
Fortsetzung folgt