Gelöschtes Mitglied 26332
Ein Märchen:
Der Abend brach an. Traurig starrte der kleine Bob in den Himmel und sehnte sich dies herbei, was die Menschheit schon seit Tagen in den Nachrichten angekündigt bekam: einen Meteoriten-Regen.
Er war bereit, bis zum St. Nimmerleinstag dort auf einem niedrigen Ast in einem alten Kastanienbaum zu sitzen und auf die hoffnungsvoll erwünschten Traumboten zu warten.
Niemand – so dachte Bob – bräuchte sie so notwendig wie er. Sieben Jahre war er nun alt, doch sah man in seine dunklen Augen, könnte manchereiner meinen, er sei schon steinalt. Sehr viel Elend hatten sie bereits erblickt, der Tod hatte ihm alles genommen, was für einen kleinen Jungen notwendig war.
Er hatte seine Eltern schon sehr früh verloren. Erst war da eine Dürre, die über seine Heimat gekommen war, die Hunger mitbrachte und Not. Seine Mutter war die Erste, die das Opfer ihres Lebens erbrachte, um die Gier der unbarmherzigen Sonne zu stillen.
Mit Geschwüren am Leib, erloschenem Blick und aufgeschwollenem Antlitz hatte man sie gefunden – in der letzten Ecke der kleinen Strohhütte, die Bob mit ihr, dem Vater und sechs abgemagerten Ziegen teilte. Der Vater begrub sie hinter einem verdorrten Strauch, im steinigen glutheißen Sand hinter dem Haus. Danach versuchte er alles, um seinen kleinen Jungen am Leben zu halten, gab all seine Kraft, um Nahrung für ihn zu beschaffen.
Es schien, als sollte ihm dies auch gelingen. Zu guter Letzt blieb ihm nichts Anderes mehr, als die geliebten Ziegen zu schlachten. Es gab keine Möglichkeit, dem Jungen den Anblick der toten Tiere zu ersparen, und später dann bedurfte es all seiner Überredungskunst, um den vierjährigen Bob zur Nahrungsaufnahme zu überreden.
Schließlich hatte er ihn und sich selbst vor dem sicheren Hungertod bewahrt, und sie erhofften sehnsüchtig die Zeit des Großen Regens, der auch diese Dürreperiode beenden und die Täler in fruchtbare Erde verwandeln sollte. Schwer hing der Himmel am Horizont voll mit Wolken, doch sie klammerten sich regelrecht fest.
Jeden Morgen, bevor Bobs Vater seinen Jungen nahm und mit ihm kilometerweit lief, um Nahrung und Wasser zu finden, schaute er besorgt in die Ferne und flehte den Himmel an, die Wolken doch näher kommen zu lassen. Es dauerte hingegen noch eine gefühlte Ewigkeit, bis es soweit war. Schließlich wurden sie über Nacht vom Großen Regen überrascht – und mit ihm kam die Sintflut. Binnen Sekunden verwandelte sich der sandige, rissige Boden in Schlamm, und schließlich war das Land überflutet.
Viele Stammes-Angehörige Bobs ließen ihr Leben, darunter war auch sein Vater. Fortan war ein kleiner Junge allein. Er rettete sich, indem er vor der reißenden Flut davon laufen konnte.
Völlig entkräftet kam Bob nach Tagen in einer Missionars-Siedlung an, wo man sich seiner annahm.
Späterhin nahm ihn ein Priester mit nach Deutschland, und dort kam er in ein Waisenhaus. Man lehrte ihn eine fremde Sprache, die er nicht verstand, zeigte ihm Bräuche, die er nicht teilte und zwang ihn zu Gebeten, die sein Herz nicht heilten. Alles war Bob so neu und so fremd, und er war ohne Eltern.
So gingen die folgenden Jahre dahin. Ein kleiner Junge mit braunen Locken und dunklen Augen, die Haut so dunkel wie Kuvertüre, fristete in seinem kleinen Zimmer sein Dasein. Noch immer weigerte er sich, das letzte Stück seiner Heimat verloren zu geben und die Sprache der fremden Menschen zu sprechen. Alles, was ihm Freude bereitete, hatte er von einer wohlmeinenden Nonne bekommen: Es war ein Kartenspiel, und sie zeigte ihm, was er damit anfangen konnte. So saß er Stunde um Stunde ganz allein an einem kleinen Kindertisch und begann, Kartenhäuser in allen möglichen Variationen zu bauen.
Eines Tages war das Haus voller Aufruhr: Freudige Kinderstimmen im Flur schienen ein Ereignis anzukündigen, das ihren tristen Alltag beenden sollte. Neugierig verließ er sein Zimmer und mischte sich unter seine Altersgenossen.
Auch wenn er selbst ihre Sprache nicht teilen wollte, so verstand er doch jedes Wort. Längst schon war ihm die Bedeutung von Sternschnuppen bekannt, dass sich Wünsche erfüllten, wenn man sie sah. Und nun saß er in seinem Baum und wartete darauf, dass sich die Ankündigung erfüllte. Es wurde allmählich dunkel.
In der Ferne vernahm er seinen Namen, wie man ihn rief, wie man ihn suchte, doch es kümmerte ihn nicht. Er würde nicht weichen, bis er eine einzige Sternschnuppe sähe, die ihm seine Eltern zurückbringen würde.
In seinen Händen hielt er sein Kartenspiel und drehte es gedankenabwesend, den Blick zum Himmel gerichtet, hin und her. Er begann, die Karten zu mischen, wie er es sich lange schon angewöhnt hatte, damit er seine Hände beschäftigen konnte. Es tat ihm gut. Die Nacht war noch fern. Bob wusste, dass er die Sterne erst sähe, wenn es ganz dunkel war. Die Zeit strich dahin, und er begann sich zu langweilen. Schließlich glitt er von seinem Ast und setzte sich auf den Rasen unter dem Baum.
Dort legte er das Kartenspiel vor sich hin und begann, etwas zu bauen: Ein Kartenhaus. Etage um Etage wuchs es in die Höhe, und er baute sich sein eigenes Schloss.
Von zweiunddreißig Karten dürfte längst keine mehr übrig geblieben sein, er hielt jedoch noch immer Karten in seinen Händen. Ruhig baute er sein Haus in die kommende Nacht – und wartete auf seinen Stern.
Seine Lieblingskarten waren Bube, Dame und König, dies war seine Familie – symbolisch für Vater, Mutter und Kind. Er hatte die drei Karten beiseite gelegt – und endlich war es soweit: Die Sterne erschienen am Himmel. Seine ersehnte Sternschnuppe hingegen blieb aus.
Irgendwann wurde Bob müde. So sehr er sich dagegen wehrte, zu schlafen: Es war ihm unmöglich, die Augen offen zu halten.
Er schlief ein, in seinem Herzen den Traum von den Eltern, die zu ihm kamen und ihn zu sich holen würden. Zusammengekauert lag er auf dem Rasen, in seinen Händen die drei geliebten Karten. Während er schlief, glitten sie ihm zu Boden und lagen da mit dem Bildnis des Königs, der Dame und des Bubes nach oben. Die Stunden strichen dahin. In tiefster Nacht wachte Bob auf und schaute verwirrt um sich. Er lag auf der obersten Ebene eines riesigen Hauses aus Karten und schaute hinauf in den Himmel.
Links und rechts von ihm bildeten die Bilder Dame und König ein spitziges Dach. Eine Sternschnuppe fiel, und Bob erinnerte sich an seinen sehnlichsten Wunsch: bei Vater und Mutter zu sein. Leise sprach er ihn aus.
Als Antwort hörte er den Ruf seines Namens, der aus den Tiefen seines Kartenhauses zu kommen schien.
Er fühlte eine zarte Hand an seiner Wange zur Linken, und einen starken Arm um seine Schulter zur Rechten. Da wusste der kleine Waisenjunge: Er war wieder daheim.
Als am anderen Morgen die Kinder aus dem Waisenhaus um den Kastanienbaum liefen, fanden sie nur noch … ein Kartenhaus. Es waren gewöhnliche Karten, seltsam war nur: Die Spitze bildete ein Dreieck aus Herz Dame und König, und die Tragfläche des Dreiecks war der Herz Bube.
Der Abend brach an. Traurig starrte der kleine Bob in den Himmel und sehnte sich dies herbei, was die Menschheit schon seit Tagen in den Nachrichten angekündigt bekam: einen Meteoriten-Regen.
Er war bereit, bis zum St. Nimmerleinstag dort auf einem niedrigen Ast in einem alten Kastanienbaum zu sitzen und auf die hoffnungsvoll erwünschten Traumboten zu warten.
Niemand – so dachte Bob – bräuchte sie so notwendig wie er. Sieben Jahre war er nun alt, doch sah man in seine dunklen Augen, könnte manchereiner meinen, er sei schon steinalt. Sehr viel Elend hatten sie bereits erblickt, der Tod hatte ihm alles genommen, was für einen kleinen Jungen notwendig war.
Er hatte seine Eltern schon sehr früh verloren. Erst war da eine Dürre, die über seine Heimat gekommen war, die Hunger mitbrachte und Not. Seine Mutter war die Erste, die das Opfer ihres Lebens erbrachte, um die Gier der unbarmherzigen Sonne zu stillen.
Mit Geschwüren am Leib, erloschenem Blick und aufgeschwollenem Antlitz hatte man sie gefunden – in der letzten Ecke der kleinen Strohhütte, die Bob mit ihr, dem Vater und sechs abgemagerten Ziegen teilte. Der Vater begrub sie hinter einem verdorrten Strauch, im steinigen glutheißen Sand hinter dem Haus. Danach versuchte er alles, um seinen kleinen Jungen am Leben zu halten, gab all seine Kraft, um Nahrung für ihn zu beschaffen.
Es schien, als sollte ihm dies auch gelingen. Zu guter Letzt blieb ihm nichts Anderes mehr, als die geliebten Ziegen zu schlachten. Es gab keine Möglichkeit, dem Jungen den Anblick der toten Tiere zu ersparen, und später dann bedurfte es all seiner Überredungskunst, um den vierjährigen Bob zur Nahrungsaufnahme zu überreden.
Schließlich hatte er ihn und sich selbst vor dem sicheren Hungertod bewahrt, und sie erhofften sehnsüchtig die Zeit des Großen Regens, der auch diese Dürreperiode beenden und die Täler in fruchtbare Erde verwandeln sollte. Schwer hing der Himmel am Horizont voll mit Wolken, doch sie klammerten sich regelrecht fest.
Jeden Morgen, bevor Bobs Vater seinen Jungen nahm und mit ihm kilometerweit lief, um Nahrung und Wasser zu finden, schaute er besorgt in die Ferne und flehte den Himmel an, die Wolken doch näher kommen zu lassen. Es dauerte hingegen noch eine gefühlte Ewigkeit, bis es soweit war. Schließlich wurden sie über Nacht vom Großen Regen überrascht – und mit ihm kam die Sintflut. Binnen Sekunden verwandelte sich der sandige, rissige Boden in Schlamm, und schließlich war das Land überflutet.
Viele Stammes-Angehörige Bobs ließen ihr Leben, darunter war auch sein Vater. Fortan war ein kleiner Junge allein. Er rettete sich, indem er vor der reißenden Flut davon laufen konnte.
Völlig entkräftet kam Bob nach Tagen in einer Missionars-Siedlung an, wo man sich seiner annahm.
Späterhin nahm ihn ein Priester mit nach Deutschland, und dort kam er in ein Waisenhaus. Man lehrte ihn eine fremde Sprache, die er nicht verstand, zeigte ihm Bräuche, die er nicht teilte und zwang ihn zu Gebeten, die sein Herz nicht heilten. Alles war Bob so neu und so fremd, und er war ohne Eltern.
So gingen die folgenden Jahre dahin. Ein kleiner Junge mit braunen Locken und dunklen Augen, die Haut so dunkel wie Kuvertüre, fristete in seinem kleinen Zimmer sein Dasein. Noch immer weigerte er sich, das letzte Stück seiner Heimat verloren zu geben und die Sprache der fremden Menschen zu sprechen. Alles, was ihm Freude bereitete, hatte er von einer wohlmeinenden Nonne bekommen: Es war ein Kartenspiel, und sie zeigte ihm, was er damit anfangen konnte. So saß er Stunde um Stunde ganz allein an einem kleinen Kindertisch und begann, Kartenhäuser in allen möglichen Variationen zu bauen.
Eines Tages war das Haus voller Aufruhr: Freudige Kinderstimmen im Flur schienen ein Ereignis anzukündigen, das ihren tristen Alltag beenden sollte. Neugierig verließ er sein Zimmer und mischte sich unter seine Altersgenossen.
Auch wenn er selbst ihre Sprache nicht teilen wollte, so verstand er doch jedes Wort. Längst schon war ihm die Bedeutung von Sternschnuppen bekannt, dass sich Wünsche erfüllten, wenn man sie sah. Und nun saß er in seinem Baum und wartete darauf, dass sich die Ankündigung erfüllte. Es wurde allmählich dunkel.
In der Ferne vernahm er seinen Namen, wie man ihn rief, wie man ihn suchte, doch es kümmerte ihn nicht. Er würde nicht weichen, bis er eine einzige Sternschnuppe sähe, die ihm seine Eltern zurückbringen würde.
In seinen Händen hielt er sein Kartenspiel und drehte es gedankenabwesend, den Blick zum Himmel gerichtet, hin und her. Er begann, die Karten zu mischen, wie er es sich lange schon angewöhnt hatte, damit er seine Hände beschäftigen konnte. Es tat ihm gut. Die Nacht war noch fern. Bob wusste, dass er die Sterne erst sähe, wenn es ganz dunkel war. Die Zeit strich dahin, und er begann sich zu langweilen. Schließlich glitt er von seinem Ast und setzte sich auf den Rasen unter dem Baum.
Dort legte er das Kartenspiel vor sich hin und begann, etwas zu bauen: Ein Kartenhaus. Etage um Etage wuchs es in die Höhe, und er baute sich sein eigenes Schloss.
Von zweiunddreißig Karten dürfte längst keine mehr übrig geblieben sein, er hielt jedoch noch immer Karten in seinen Händen. Ruhig baute er sein Haus in die kommende Nacht – und wartete auf seinen Stern.
Seine Lieblingskarten waren Bube, Dame und König, dies war seine Familie – symbolisch für Vater, Mutter und Kind. Er hatte die drei Karten beiseite gelegt – und endlich war es soweit: Die Sterne erschienen am Himmel. Seine ersehnte Sternschnuppe hingegen blieb aus.
Irgendwann wurde Bob müde. So sehr er sich dagegen wehrte, zu schlafen: Es war ihm unmöglich, die Augen offen zu halten.
Er schlief ein, in seinem Herzen den Traum von den Eltern, die zu ihm kamen und ihn zu sich holen würden. Zusammengekauert lag er auf dem Rasen, in seinen Händen die drei geliebten Karten. Während er schlief, glitten sie ihm zu Boden und lagen da mit dem Bildnis des Königs, der Dame und des Bubes nach oben. Die Stunden strichen dahin. In tiefster Nacht wachte Bob auf und schaute verwirrt um sich. Er lag auf der obersten Ebene eines riesigen Hauses aus Karten und schaute hinauf in den Himmel.
Links und rechts von ihm bildeten die Bilder Dame und König ein spitziges Dach. Eine Sternschnuppe fiel, und Bob erinnerte sich an seinen sehnlichsten Wunsch: bei Vater und Mutter zu sein. Leise sprach er ihn aus.
Als Antwort hörte er den Ruf seines Namens, der aus den Tiefen seines Kartenhauses zu kommen schien.
Er fühlte eine zarte Hand an seiner Wange zur Linken, und einen starken Arm um seine Schulter zur Rechten. Da wusste der kleine Waisenjunge: Er war wieder daheim.
Als am anderen Morgen die Kinder aus dem Waisenhaus um den Kastanienbaum liefen, fanden sie nur noch … ein Kartenhaus. Es waren gewöhnliche Karten, seltsam war nur: Die Spitze bildete ein Dreieck aus Herz Dame und König, und die Tragfläche des Dreiecks war der Herz Bube.
Die liegende Karte zeigte das Gesicht vom kleinen Bob.
© Sina Katzlach
© Sina Katzlach