Am alten Schauplatz ...
Ralf Mischkowski kam allmählich wieder zu sich. Rings um ihn herum war es dunkel, die Fackeln waren gelöscht. Stöhnend versuchte er, sich zu orientieren, und wälzte sich halb auf den Bauch. Dann machte er einen Katzenbuckel und stemmte seine Knie in die weiche Erde, im Versuch, sich zu erheben.
Es blieb bei einem Versuch! Die Nacht begann sich um ihn zu drehen. Riesengroß flackerten Schlieren vor seinen Augen, und kein einziger Trip, den er in seinem Leben schon geschmissen hatte, kam diesem gleich.
Ächzend sank er mit der Stirn voraus auf den Waldboden und schrie leise auf, als er den Schmerz auf seiner Kopfwunde spürte. Diese war mittlerweile verkrustet und spannte, als ob jemand seinen Schädel mit Beton überzogen hätte. Aus den Augenwinkeln nahm er eine gedrungene Gestalt neben sich wahr. Der Mann bückte sich zu ihm herunter, leuchtete ihm mit einer Taschenlampe direkt ins Gesicht und fragte leise: "Alles in Ordnung?"
Ralf stöhnte gequält. "Mach die Funzel aus. Mir hat - glaube ich - jemand was über den Schädel gehauen. Wenn ich nur wüsste, wer!"
Mühselig versuchte er, sich zu erinnern. Zugleich nahm er Kampfgeräusche im Hintergrund wahr. Offenbar kamen sie aus der Hütte. "So habe ich mir das nicht vorgestellt", sagte er zu seinem Helfer und setzte sich auf. Er betrachtete den Mann und ordnete ihn ein. "Bernd heißt du, oder? Kannst du mir vielleicht sagen, was hier los ist? Mein Kopf tut weh!"
"Wie es aussieht, hauen sich da drinnen ein paar gegenseitig die Köpfe ein. Ich muss auch gleich wieder los, mein Kumpel ist allein auf weiter Flur. Habe dich nur am Boden liegen gesehen und dachte, ich schaue mal nach."
"Na ja, jedenfalls lebe ich noch. Es wird gleich wieder gehen, und dann mische ich mit." Mittlerweile kam die Erinnerung zurück, und die Galle kochte in ihm. "Ich habe mit Baumgartner noch ein riesiges Hühnchen zu rupfen."
"Na dann! Der ist da drin und hat mit seinem sauberen Freund zusammen einen am Wickel."
Bernd half Mischko auf. Mit wackligen Knien wankte Ralf hinüber zur Bank und setzte sich stöhnend hin. "Hast du Wasser dabei? Mein Mund klebt wie Uhu." Der Gefragte nestelte an seinem Gürtel und machte eine Feldflasche ab. Mit besorgter Miene reichte er sie weiter und lauschte mit halbem Ohr hinüber zur Hütte.
Ein entsetzter Schrei machte den Männern Beine. Wie von der Tarantel gestochen schoss Ralf hoch. "Um Gottes Willen, was war das denn?"
"Komm!" Bernd Bieber hastete den Weg zurück, ohne sich davon zu vergewissern, ob Mischkowski ihm folgte. So gut es ging, bahnte er sich seinen Weg durch dichtes Gestrüpp.
Ralf Mischkowski stand auf und folgte dem Lichtkegel, den Bernd hinterließ. Die beiden Männer kamen fast zeitgleich auf der Rückseite an, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Egon Triebentorf reglos zu Boden sank.
Phillip Baumgartner starrte fassungslos auf den Körper seines Freundes hinab. Er hatte es nicht mehr geschafft, ihn zu retten. Nun lag er da mit bleichem Gesicht, die Augen nach oben gedreht, die Lippen blau angelaufen.
Ein Frösteln lief dem abgebrühten Wilderer über den Rücken. Vergessen war Winfried Kahlmann, der ihnen ein Ei ins Nest gelegt hatte. Vergessen war auch der Täter, vergessen die Tatsache, dass sie diesen selbst umbringen wollten, weil er eventuell etwas hätte finden können, was er nicht sollte. ... 'Egon ist tot', soviel war ihm klar. Die Drahtschlinge schnitt grausam in dessen Hals, und mit weit aufgerissenen Augen starrte Triebentorf hinaus in die staubige Dämmerung, die im Inneren der Hütte die letzten Lichtfäden schluckte. Silhouetten verschwammen vor seinen Augen.
Unterdessen zeigte Frank Grünewald sein wahres Gesicht und würdigte sein Opfer keines Blickes. Knurrend nahm er Winfried Kahlmann an der Tür ins Visier und sah undeutlich eine Waffe auf sich gerichtet. "Keinen Schritt weiter", warnte ihn Winnie. "Du hast genug Mist gebaut."
Bernd Bieber und Ralf Mischkowski sahen einander an. "Wie kommen wir an ihn heran?", fragte der Jüngere leise. Sie standen nebeneinander im Türrahmen und beobachteten entsetzt die Szene vor ihnen. Es bedurfte nicht sehr viel Spürsinn, um zu erraten, dass Triebentorf tot war.
"Einer von links, einer von rechts", empfahl der Grantler und zog Ralf aus Grünewalds Blickfeld. "Wie ich Winfried Kahlmann einschätze, wird er gescheit genug sein, um ihn abzulenken." Er zog zwei Bündel Kabelbinder aus seiner Jackentasche und gab seinem Begleiter eins davon. "Damit fesseln wir ihm erst einmal die Hände zusammen."
Mit wildem Blick drehte Phillip sich um und starrte den beiden Männern entgegen.
Bernd duckte sich in den Schatten und hieß ihn mit einer Geste, zu schweigen. Währenddessen bewegte sich Ralf an die andere Seite des schmalen Raums und drückte sich an Kahlmann vorbei. "Lenk Grünewald ab", raunte er ihm mit zusammengebissenen Zähnen ins Ohr.
Winnie reagierte prompt, hielt diesen weiter mit seiner Waffe in Schach und wich ein paar Schritte zurück. Nachdem er sah, dass Ralf und Bernd auf der Höhe des Killers waren, nahm er seine Taschenlampe vom Sims und warf sie in dessen Richtung. Wie ein leuchtender Komet sauste sie durch den halbdunklen Raum und traf Frank an der Stirn. Das Licht erlosch.
Ein zischender Zornlaut kam aus Grünewalds Mund. Währenddessen war Phillip Baumgartner zumindest so weit wieder bei sich, dass er den Sinn von Kahlmanns Aktionen erkannte. Er umklammerte den verdutzten Mann mit beiden Armen und fasste nach dessen Händen.
Bernd Bieber und Ralf Mischkowski kamen Phillip zu Hilfe. Binnen Sekunden war Frank mit Kabelbindern gefesselt und lag bäuchlings neben dem Toten am Boden.
Baumgartner rastete aus. Mit seinen schweren Motorradstiefeln trat er immer wieder in die Nierengegend des Gefesselten und brüllte dabei: "Du Drecksau hast meinen Freund umgebracht!"
Frank Grünewald schrie voller Schmerzen. Mit vereinten Kräften zogen Ralf, Winnie und Bernd den Berserker von seinem Opfer weg und schafften ihn nach draußen ins Freie. Als Phillip sich wieder losreißen wollte, banden sie auch ihm Hände und Füße zusammen.
Mit einer gewissen Genugtuung warf Winnie den Fluchenden zu Boden. "Werd' mal wieder normal", fuhr er ihn an. "Das mit Egon war noch nicht alles."
Phillip verstummte und glotzte diesen aus seiner sitzenden Position heraus an wie ein Kalb. Die drei Männer umringten ihn in gewissem Sicherheitsabstand.
Negative Spannung lag in der Luft, und Winnie fuhr fort: "Felix ist ebenfalls tot. Und was ist mit Tamara?"
"Tamara?" Verwirrt wiederholte Phillip den Namen seiner Geliebten und pustete sich eine nassgeschwitzte Strähne aus der Stirn. "Und was ist mit Freitag?"
Er versuchte, das soeben Gehörte zu verdauen. Seine Gedanken ratterten wie eine wildgewordene Schreibmaschine durch sein Gehirn und brachten nichts als abgehackte Fragmente zustande. Irritiert suchte er einen Zusammenhang.
Winnie half ihm auf die Sprünge: "Der ursprüngliche Plan war, dass wir uns in der Hütte organisieren, und sie wartet unten auf uns. Hattest du das nicht so gesagt?"
"Ja ... ja, ich weiß ..." Phillip lehnte seinen Kopf gegen die Hüttenwand. Ihn übermannte ein Brechreiz, und er versuchte, ihn zu unterdrücken. Tief atmete er durch, sah in den leuchtenden Nachthimmel hinauf und zählte die Sekunden zwischen Donner und Blitz. Er fragte sich, wieviel Zeit schon verstrichen sei und kam zu der Erkenntnis: Viel zu viel Zeit. War die seine auch bald vorbei?
Es war ihm, als ob dem so sei, und all seine Schandtaten wurden ihm plötzlich bewusst.
Mit hilflosem Blick sah Phillip in Winnies angespanntes Gesicht. "Sie ist bestimmt schon nach Hause gegangen. Wir haben viel zu lange gebummelt." Er versuchte, Zuversicht in seine Stimme zu legen.
"Da wäre ich mir nicht so sicher an deiner Stelle." Winnie dachte an den Anblick von Felix und Egon, und plötzlich sorgte er sich auch um Tamara. 'Ich hoffe, es ist nicht so, wie es aussieht', sinnierte er, während er aus der geöffneten Hüttentür Frank Grünewalds Stöhnen vernahm.
Das brachte ihn wieder zu sich. "Wir müssen die Polizei rufen", sagte er laut zu den Umstehenden. Phillip verzog das Gesicht, während Ralf beipflichtend nickte.
Bernd trat neben Winnie und fasste ihn am Arm. "Wir müssen reden!" Mit einem Blick zu dem gefesselten Bandenanführer zog er Kahlmann mit sich und verschwand mit ihm um die Ecke.
"Das können wir nicht machen", setzte er an. "Jedenfalls nicht jetzt sofort."
"Wir können es aber auch nicht verschweigen", antwortete Winnie. "Ich habe ja mit vielem gerechnet, was heute nacht noch passiert, aber das ...", er stockte aufgewühlt, "das ist mir eine Hausnummer zu groß. Und damit meine ich jetzt nicht einmal Egon, sondern vor Allem die Nummer mit Felix. Ein paar dumme Streiche und jemanden umbringen - das sind für mich zwei Paar Stiefel."
Kreidebleich starrte er Bernd Bieber an. Er hatte die Aktion am Höllensteinsee mitgemacht, doch nur gezwungenermaßen, und auch nur, weil er damit gerechnet hatte, dass Jürgen Mantwied seine Chance schon bekäme. Den Luchs ins Wasser zu werfen, hatte ihm mehr Skrupel beschert als die Vorstellung, dass etwas schief gehen könne.
Fortsetzung folgt